"Die Bedeutung, die dem Medieninformationssystem zukam, hat die amerikanische Medienwissenschaftlerin Sandra Ball-Rokeach auf eine knappe Formel gebracht: Je einschneidender Änderungen der sozialen Umwelt empfunden werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass das »Medieninformationssystem« für praktisch alle Akteurezur wichtigsten Ressource wird, diese Umwelt zu verstehen und in ihrsinnvoll zu handeln. Das wiederum ist so zu verstehen, dass mit Erscheinen des Virus auf der Bildfläche das Wirkungspotenzial von Medien mindestens kurzfristig enorm angestiegen sein dürfte. Das ist aus dieser Perspektive aber weniger den Inszenierungskünsten des Journalismus oder denen von Influencerinnen und Influencern zuzurechnen, als eben der großen allgemeinen Verunsicherung, die dieses Virus ausgelöst hat. Als Maß dieser Verunsicherung können die teilweise ganz erheblichen Reichweitengewinne für etablierte Medienorganisationen gelten. Die öffentlich-rechtlichen und privaten Informationsangebote des Fernsehens, praktisch die gesamte Presse – offline wie online – und auch das öffentlich-rechtlich organisierte Radio verzeichneten deutliche Zuwächse. In unsicheren Zeiten wächst der Bedarf an zuverlässigen Informationen, die man offenbar am ehesten bei etablierten und vertrauenswürdigen Anbietern erwartete. Dieses Verhalten bleibt allerdings gekoppelt an die Voraussetzung, dass man den genannten Medien dieses Zutrauen auch entgegenbringt. Der Anteil derjenigen, für die das nicht zutrifft, wird von einschlägigen Umfragen auf etwa ein Fünftel beziffert. Sie sehen das Mediensystem mit den Mächtigen im Bunde, zweifeln an dessen Unabhängigkeit und Akkuratesse. Da aber das Corona-Virus auch diese Gruppe verunsichert, dürfte auch sogenannten alternativen Medien ein vergrößertes Einflusspotenzial zuzurechnen sein. Die Medienabhängigkeit der Journalismuskritikerinnen und -kritiker dürfte sogar deutlich stärker ausgeprägt sein. Denn diese Gruppe muss ja nicht nur die soziale Unsicherheit bewältigen, die mit der Verbreitung des Corona-Virus zusammenhängt. Sie sieht sich darüber hinaus fortgesetzt dem Problem gegenüber, dass ihre Deutungen der Situation in Widerspruch stehen zur dominanten öffentlichen Meinung, die sich in den traditionellen Medien ausbildet. Und genau das befördert Unsicherheit und erzeugt fortgesetzt Bedarf, sich der Richtigkeit seiner Minderheitenposition zu versichern." (Seite 267-268)