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Gewalt gegen Frauen in den Nachrichten

Aus Politik und Zeitgeschichte, volume 73, issue 14 (2023), pp. 29-34
"Insgesamt zeigt sich sowohl in der internationalen als auch in der deutschen Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen ein recht einheitliches Bild. Gewalt gegen Frauen muss besonders brutal sein, um die Schwelle der medialen Berichterstattung zu überschreiten. Dies gilt insbesondere für Gewalt in Paarbeziehungen. Dass in den Medien vor allem über Tötungsdelikte an Frauen berichtet wird, kann auf den ersten Blick als Sensibilisierung für Femizide verstanden werden. Tatsächlich wird eine solche Sensibilisierung durch die Berichterstattung aber nur dann erreicht, wenn Femizide auch als solche eingeordnet werden. Eine entsprechende Einordnung findet jedoch in den meisten Fällen nicht statt: Die mediale Berichterstattung erfolgt überwiegend in Form von Einzelfallberichten, ohne Bezugnahme auf das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen oder eine Einordnung durch Expertinnen und Experten. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem wird vor allem dann thematisiert, wenn es einen aktuellen Anlass gibt, wie zum Beispiel die jährliche Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Gewalt in Paarbeziehungen. Obwohl die überproportionale Fokussierung auf Tötungsdelikte der allgemeinen Medienlogik entspricht, erscheint sie im Kontext von Gewalt gegen Frauen besonders problematisch. Studien zu Gewalt in Paarbeziehungen zeigen, dass eine Tötungshandlung häufig nicht spontan erfolgt, sondern der letzte Schritt in einer langen Geschichte von Zwangskontrolle und Gewalt ist. Diese Eskalation verläuft häufig nach ähnlichen Mustern. Mediale Berichterstattung, die sich nur auf diesen letzten, irreversiblen Akt konzentriert, verdeckt, dass Tötungsdelikten in Paarbeziehungen in der Regel viele alltäglichere und weniger drastische Formen von Gewalt vorausgehen." (Fazit)