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Kinderbücher als Orte der Begegnung: Repräsentation im Kinderbuch

"Gute Kinderbücher oder vielmehr Kinderbücher, die Platz machen für alle Kinder, Gefühle, Erfahrungen, Stimmen, eröffnen einen Raum der Vielheiten und der Vielstimmigkeit. Sie geben Kindern Orientierung, erklären ihnen die Welt und ihre Bewohner:innen, sind lustig und spannend, emotional und unterhaltsam. Sie erschaffen einen Ort, in dem alle Kinder mit ihren Erfahrungen, ihren Lebensweisen und Perspektiven sich wohl fühlen, sich wertgeschätzt und gehört fühlen sollten. Und ist das nicht letztendlich der Charakter großartiger Literatur? Menschen an die Hand zu nehmen und sie in fremde Welten zu entführen, ihnen die Möglichkeit zu geben auch in andere Rollen zu schlüpfen und neue Erfahrungen zu machen? Genau hier beginnt das Lesen, spannend zu werden. Denn gute Kinderliteratur kann Kinder in seelischen Aufruhr versetzen, sie klüger und erfahrener aus der Lektüre entlassen. Weil wir und sie im Buch Menschen begegnet sind, die uns und ihnen Einblicke in ihr Leben gegeben und seelisch, emotional und mental berührt haben. Weil wir in ihnen uns selbst begegnet sind, in all unseren Widersprüchlichkeiten und Identitäten. Weil wir in Büchern zu Held:innen werden konnten. Und sie haben uns Menschen gezeigt, die uns inspirieren, uns aufzeigten, welche anderen Realitäten es noch gibt und auch in uns stecken. Was nun? In den heutigen bewegten Zeiten öffnet sich immer mehr die Tür zu diesem Chor der Vielheiten. Und diese Stimmen rütteln an den unhinterfragten Vorstellungen und Normbildern weißer Lesender: Muss eine Prinzessin weiß sein und blonde Haare haben? Darf Arielle schwarz sein? Welche Beziehung haben wir zu Winnetou und indigenen Menschen? Interessieren wir uns für echte Menschen oder verteidigen wir lieber unsere in liebevoller Nostalgie gefangenen Kindheitserinnerungen? Wen dürfen wir wie benennen? Wessen Kritik müssen wir annehmen? Diese Fragen können anstrengend und unbequem sein. Doch sie sind der Schlüssel dazu, dass sich diese Tür immer weiter öffnet. Lasst uns also Fragen stellen, das Zuhören lernen, diskutieren und in neue Geschichten und Stimmen versinken." (Seite 8-9)