"Wie einst im ursprünglichen Gothic die verlassenen Schlösser des Feudalismus als Orte des Spuks in die bürgerliche Ära hineinragten, so sind es heute die globalen Ruinen des geplatzten Traums von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, in denen das Grauen haust: Von den vom Immobiliencrash ge
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zeichneten Vororten Detroits (Barbarian, 2022) bis zu den bleivergifteten Ufern des Riachuelo in Buenos Aires. Das sind düstere Aussichten: Eine Vergangenheit, die, wie Marx schrieb, »wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden« lastet und eine Zukunft, in der wir, wie David Cronenberg zeigt, Plastik fressen müssen (Crimes of the Future, 2022). Der »Train to Busan« (2016) rast mit Hochgeschwindigkeit, doch auch am Zielbahnhof lauern die Zombies – und weil jede*r um das eigene Überleben kämpft, liegt der Griff nach der Notbremse fern. Da wird es unheimlich, oder im Sinne der Wortbedeutung: un-heimelig. Den das Un-heimliche verweist gerade auch auf den Schrecken, der hinter dem Vertrauten lauert. Und weil auf den Schrecken der Normalität zu verweisen immer schon Anliegen der iz3w ist, proklamieren wir: Gespenster aller Länder, vereinigt euch! Die Frage, was Horror und Gesellschafskritik verbindet, vertieft im Einleitungsartikel Georg Seeßlen (Seite 23). Danach bleiben wir dem globalen Spuk anhand ausgewählter Beispiele auf der Spur: Wie die argentinische Literatur Horrormotive nutzt, um die Schrecken von Diktatur und Postdiktatur auszudrücken, zeigt Nikolas Grimm (Seite 26). Dass sich realer und fiktiver Schrecken oft in nichts nachstehen, betont Rosaly Magg am Beispiel vom Horror der Flucht und Migration (Seite 36). Dazu gibt es zwei schaurige Interviews: mit dem Autor Mark H. Harris über Horror und Rassismus in den USA (Seite 32); und was Dracula in Istanbul treibt, erklärt uns der Regisseur Cem Kaya (Seite 40)." (Editorial, Seite 22)
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"In der jüngeren Geschichte wurde wohl noch nie so deutlich die Existenz und die Wirkmacht von Verschwörungstheorien vor Augen geführt wie in der Corona-Pandemie. Was lange als Randphänomen in dunklen Nischen des Internets galt, scheint auf einmal allgegenwärtig. Von der Nachbarin bis zum Abgeo
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rdneten im US-Kongress reicht das Spektrum derer, die hinter der Pandemie ein Komplott vermuten: das Coronavirus existiere entweder gar nicht oder sei absichtlich in die Welt gesetzt worden. In beiden Varianten steckt die Vorstellung, dass die Pandemie bloß ein Vorwand einer Gruppe Verschworener sei, deren eigentliches Ziel die Errichtung einer weltumspannenden Diktatur ist. Derartige „Theorien“ werden nicht geglaubt, weil sie inhaltlich überzeugend wären. Sie werden von Menschen geglaubt, die an sie glauben wollen. Denn sie bieten eine Erklärung der Welt an, die komplexe Ereignisse und Prozesse auf eine einfache Ursache zurückführt – in der Regel die Machenschaften dunkler Mächte. Derartige Behauptungen verbreiten sich in einem Netzwerk aus Medien, vermeintlichen Expertinnen und Aktivisten, die Fakten umdeuten, aber auch „alternative“ Fakten und Statistiken – oder: alternatives Wissen – verbreiten. Anlass zur Sorge bietet nicht nur die Verbindung von Verschwörungstheorien mit Rechtsextremismus und Antisemitismus, sondern auch die Entkopplung eines Teils der Bevölkerung von der Realität." (Editorial, Seite 3)
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"In den 1980er Jahren verstärkte sich das Unbehagen an der Gedenkkultur mit ihren Heldenerzählungen und nationalen Beschränkungen. Mit der größeren Komplexität des Gedenkens und der Hinwendung zu den sozialen Kosten historischer Ereignisse prägte sich eine neue Erinnerungskultur aus. Diese is
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t kein abgeschlossenes Modell. In diesem Prozess wandeln sich die Wahrnehmung der Vergangenheit sowie die zukunftsgerichteten Zwecke des Gedenkens." (Seite 17)
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"Die iz3w erscheint in einem Land mit einer »guten Situation« für Presseerzeugnisse (globaler Index der Reporter ohne Grenzen). In vielen Ländern ist die Lage infolge von Repressionen »sehr ernst«, zum Beispiel in China, in Iran oder Sudan. Auch in Ländern zwischen diesen Extremen kann freier
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Journalismus lebensgefährlich sein, etwa in Mexiko. Dabei sind die Meinungs- und Pressefreiheit Grundvoraussetzungen für Gesellschaften, die aufgeklärte Zustände und Partizipation an politischen Entscheidungen anstreben. Es geht um demokratische, freiheitliche und soziale Regeln, die einerseits im Bewusstsein, andererseits als verbindliche Rechte verankert sind. Wir lassen Personen zu Wort kommen, die sich für diese Ziele einsetzen, und fragen uns: Wie sehen die Produktionsbedingungen für die Berichterstattung weltweit aus? Wozu braucht es freie Medien? Wo fängt die Repression an und auf welche Weise wirken sich neue Medien auf die Berichterstattung aus?" (https://www.iz3w.org/printausgaben/heft-365)
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"Im Kontext einer nord-süd-politisch relevanten Information interessiert besonders die Frage der Repräsentation, der Klischeebildung, der Ermächtigung. Ein Foto kann empathisch aufmerksam machen oder zur Schau stellen, aber auch Nähe erzeugen, berühren. Nicht immer folgt auf eine gute Absicht e
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ine gute Praxis. Entwürdigende Fotografie ist, wenn Menschen stilisiert oder als Platzhalter eingesetzt werden. Das kommt in der Fair-Trade-Werbung vor (S.25). Oder wenn sie – wie häufig in der Spendenwerbefotografie von Hilfswerken – viktimisiert werden. Das Foto einer Person kann etwas sehr Privates weltweit und öffentlich kundtun. So zum Beispiel das Foto eines Mädchens ohne Kleider, das – mit Entsetzen im Gesicht – vor dem Napalmangriff südvietnamesischer Flieger weg- und einem Pressefotografen entgegenläuft. Und damit den Augen von Millionen BetrachterInnen in der westlichen Welt, nachdem das Bild mit der Vergabe des World Press Photo Awards 1972 schließlich zum Symbol für die Grausamkeit des Vietnamkrieges wurde. Ein Foto kann Gewalt sichtbar machen. So vermag ein Bild von Gefangenen die Willkür ihrer Peiniger ausdrücken. Der Blick in eine Fabrikhalle mit einem Nähmaschinenpark kann den vernichtenden Charakter eines Systems darstellen. Ein Foto kann vom unmenschlichen Grauen erzählen. Oder es kann Verstoßene rehabilitieren; etwa wenn Personen ihre Versehrungen zeigen (S.17) und dabei Momente des Vertrauens und des Glücks zum Ausdruck bringen. Ein Foto kann Zuversicht schaffen. Der abgelichtete Moment eines Handschlages – wie zwischen Nelson Mandela und F.W. De Klerk – hat ein Zeitalter der Hoffnung auf das Ende der Apartheid eingeläutet. Ein Foto kann ermächtigen. Die Porträts von Trans-Personen der Aktivistin Zanele Muholi sind wie eine Ausstellung der Existenz des Schönen, der Liebe und des Menschseins gegen eine homophobe Stimmung (S.30). Die Kraft eines Fotos im emanzipatorischen Sinn – liegt oft in der Irritation. Ein kleiner Zweifel, ein kurzer Knacks im herrschenden Diskurs. Fotografie kann – das klingt schlicht – Sichtbarkeit schaffen. Die Fotos der Gruppe Lampedusa in Hamburg Professions (S.31), erinnern daran, dass hierzulande viele Menschen eine Vorliebe dafür hegen, sich über ihren Beruf in Wert zu setzten, anderen diese Repräsentation aber gerne aberkennen." (Editorial)
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"Dokumentarfilme boomen: In den vergangenen Jahren schafften es nicht nur viele ins Kino, auch die FilmtheoretikerInnen brachten ihnen eine erhöhte Aufmerksamkeit entgegen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Dokumentarfilme das starre Korsett, Repräsentationen der Wirklichkeit zu sei
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n, abgelegt haben und dass ihnen wie Fiktionsfilmen auch erzählerische Qualitäten zuerkannt werden." (Seite 16)
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